David Keil unterrichtet seit 18 Jahren Ashtanga Yoga. Er hat eine sehr ruhige und klare Herangehensweise und unterrichtet mit Humor und Leichtigkeit. Sein Ansatz ist stark geprägt von seiner Leidenschaft zur Yoga Anatomie. Mit mir spricht er über seine Interpretation von Ashtanga Yoga, was er mit Sri K. Pattabhi Jois erlebt hat und warum es vor allem wichtig ist entspannt zu üben.  

Warum übst Du Yoga?

Lacht… Das hängt eng mit dem Grund zusammen, warum ich Yoga auch unterrichte. Es geht um Objektivität, dadurch dass wir uns selbst beobachten. Im Gegensatz zu Reaktivität, Angst oder in Gedanken gefangen sein. Es geht darum herauszufinden, wer ich bin, was ich tue und warum ich das mache. Es ist ein Werkzeug, um sich selbst zu verstehen – deshalb übe ich Yoga.

Ich könnte auch sagen das ultimative Ziel ist es zu erwachen, aber je länger ich übe, umso mehr glaube ich nicht daran, dass sich plötzlich ein Schalter umlegt. Es ist vielmehr ein Erkenntnisprozess.

Je objektiver du mit dir selbst wirst, desto mehr Raum schaffst du dafür, wer du wirklich bist.

Aber es gibt auch Menschen, die das schaffen ohne Yoga zu üben.

Ja! Du meinst Menschen wie Eckardt Tolle. Das ist, worum es eigentlich geht. Ist es dafür notwendig Yoga Asanas zu praktizieren? Wahrscheinlich nicht. Ganz sicher nicht. Ich meine, die vermutlich erleuchtesten Menschen kommen aus dem Tibetischen Buddhismus, aber das macht die Asanapraxis nicht unnütz. Wenn Yoga dein Zugang ist, dann ist es dein Zugang. Wer soll man das beurteilen?

Aber es muss im Zusammenhang gesehen werden. Wir haben Yoga sehr objektiviert, weil das unserer Kultur entspricht. Wir machen das mit allen Dingen so in unserer Kultur.

Wir haben die Posen objektiviert, indem wir zum Beispiel fortgeschrittene Übungen damit gleichsetzen, dass jemand auch ein fortgeschrittener Yogi ist. Dabei gibt es da überhaupt keinen Zusammenhang.

Wenn du zum Beispiel mit einem flexiblem Körper geboren wurdest und sehr schnell fortgeschrittene Haltungen üben kannst, dann bist du doch nicht von einem Tag auf den anderen plötzlich ein fortgeschrittener Yogi. Nein. Definitiv nicht.

Du übst seit 18 Jahren. Was ist dein Geheimnis für eine gesunde Yoga Praxis, die du über Jahre erhalten kannst?

Ich glaube das vertrackte daran ist, das wir glauben, weil es „Yoga“ ist, muss es auf eine bestimmte traditionelle Weise ausgeführt werden. Auch wenn wir gar nicht mehr in alten traditionellen Zeiten leben. Und ganz ehrlich – das Experiment das gerade läuft heißt: wie sieht Yoga in unserer modernen Welt aus? Und nicht: wie können wir die moderne Welt zurück in die alte traditionelle Zeit verfrachten.

Also abhängig von persönlichen Umständen, wie zum Beispiel der Konstitution, geht es für mich darum anpassungsfähig zu bleiben ohne dabei faul zu werden. Das ist mein Trick in meiner Praxis. Dazu gehört zu hinterfragen: bin ich jetzt wirklich erschöpft oder pushe ich mich durch die Trägheit. Oder aber akzeptiere ich einfach, dass ich müde bin und passe meine Praxis dann an.

Wie nimmst du diesen feinen Unterschied wahr?

Das ist genau der Grund warum wir üben, um objektiver zu werden. Du beginnst deine eigenen Tendenzen und Stolperfallen zu erkennen und kannst klarere Entscheidungen treffen.

Ich glaube sowieso, dass es bei all diesen Praktiken wie Yoga, Pranayama, Meditation, um eins geht: nicht damit aufzuhören, der zu sein, der du bist. Selbst wenn du erlechtet bist, heißt es ja nicht, dass du nur noch auf einem Meditationskissen sitzt und nichts mehr tust. Du machst die gleichen Dinge wie vorher, nur mit einer anderen Haltung.

Du hast mal gesagt, dass es leicht passieren kann sich mit einer Pose zu identifizieren. Damit, wie wir denken, dass eine Asana sein sollte oder aussehen sollte. Was meinst du damit?

Als ich angefangen habe zu üben war ich nicht wirklich flexibel und mir ging es darum etwas zu erreichen, voranzukommen und mich zu pushen. Ich versuchte irgendwo hinzukommen und mein Körper wurde mit der Zeit dehnbarer. Wenn ich dann aber viel gereist bin, bekam ich plötzlich meinen Fuß nicht mehr hinter den Kopf und ich hatte das natürliche Bedürfnis es genauso zu können wie vorher. Für mich geht es darum mich selbst zu fragen: wie wichtig ist es jetzt wirklich den Fuß hinter den Kopf zu bekommen. Kämpfe ich damit, will ich etwas erreichen? Dabei geht es wieder darum objektiver zu werden: warum ist es mir überhaupt wichtig? Es ist eine permanente Selbstreflektion.

Und manchmal braucht es sehr lang bestimmte Posen zu erreichen, und dann?

Genau das ist mir mal mit einer Schülerin passiert, der ich die zweite Serie unterrichte habe. Wir haben die zweite Serie gemeinsam beendet. Sie war super kraftvoll und fokussiert. Wir kamen also zum Ende und sie merkte, dass sich nichts wirklich verändert hat. Sie fragte mich: Und, was jetzt? Ich antwortete: Jetzt? Nichts! Und das es mir so richtig deutlich gemacht. „Und, was jetzt?“ Willst du die dritte Serie üben? Okay dann übe die dritte Serie. Was wird passieren wenn du zum Ende der dritten Serie kommst? Du wirst eine Reihe von Erfahrungen gesammelt haben, einige gute vielleicht auch ein paar schlechte, wer weiß? Aber was soll’s, all die Anstrengung, wofür? Für die Erfahrung und den Raum, den du in deinem Denken schaffst (lacht) nur um festzustellen, dass es von Beginn an nie wirklich wichtig war.

Und dafür auch noch jeden Tag die gleichen Posen üben.

Das ist eines der größten Argumente gegen Ashtanga. Die gleichen Posen immer wieder, das ist langweilig.

Ja, das ist manchmal langweilig.

Deshalb lege ich einen so großen Wert auf das Atmen. Weil das niemals langweilig wird. Viele denken auch sie wären nicht flexibel genug um Ashtanga zu üben. Ich glaube das liegt daran, weil es viel Geduld und Zeit braucht. Menschen sind nicht mehr gewohnt zu warten.

Ich glaube das ist eine der häufigsten Ausreden vermutlich für jeden Yogastil, das ich nicht flexibel genug bin. Punkt.

[clickandtweet handle=““ hashtag=““ related=““ layout=““ position=““]Wir suchen nach einer geheimen Antwort für das, was wir glauben erreichen zu müssen.[/clickandtweet]

Zum Beispiel: wenn meine Hüften offen sind, dann kann ich in den Lotus gehen. Und dann? Was passiert dann? Dann bist du im Lotussitz. Das ist nur eine Veränderung.

Ganz oft fragen mich Leute, warum kann ich keinen Lotus und es geht meist auf eine Antwort zurück: Zeit und Geduld. Offensichtlich ist es das, was wir viel mehr brauchen. Geduld.

Was ist für dich das wertvollste, was du vom Ashtanga Yoga bisher gelernt hast?

Anzuerkennen, dass es ein Prozess ist, der dich führt. Dass das Leben ein Prozess ist. Es gibt keine Short-Cuts. Wenn du etwas zu stark willst, dann gehst du wahrscheinlich rückwärts, das gleiche passiert auch im Leben. Lehne dich ein bisschen zurück. Strenge dich an, wo du dich anstrengen musst, um es ein wenig zu lenken aber dann entspanne dich. Auch wenn es schwer ist. Sehr schwer.

Du redest viel darüber wie wichtig es ist zu entspannen auch in der Yoga Praxis.

Ja, weil ich sehe, dass viele so hart arbeiten. Aber sie arbeiten so hart, dass sie sich nur noch auf das hart arbeiten konzentrieren und nicht mehr auf die Erfahrung des Körpers. Das liegt daran absorbiert zu sein in dem ganzen Machen. Aber was ist der Punkt des ganzen Tuns?

Das stimmt. Es ist einfach sich im Handeln zu verlieren.

Aber du kannst auch entspannt handeln. Du kannst relaxen in deinem Handeln und immer noch etwas tun. Und sogar Dinge erreichen. Auch die Dinge, die du dir wünscht. Ich bin jemand, der versucht daran zu erinnern, dass es auch auf entspannte Weise geht.

Es ist leicht dabei ungeduldig und rastlos zu werden.

Das bringt Ashtanga manchmal in Leuten hervor. Es kann das Ego vergrößern. Oft. Aber das ist nicht der Sinn von Yoga. Sondern das Gegenteil. Wenn du dich mit deiner Leistung identifizierst, dem was du erreichst. Der Leistungsgedanke basiert auf dem kleinen Selbst. Je mehr du erreichst und dich damit identifizierst, desto größer wird das kleine Selbst. Und dann denkst du, du bist ein toller Hecht, weil du diese Dinge erreicht hast. Das passiert leicht. Ich erinnere mich an eine Konferenz bei der Sharat für Guruji übersetzt hat: „the first job of a good teacher is to destroy the students ego and make sure that it doesn’t grow.“

Weil das Ego natürlich nach dieser Kraft verlangt.

Ashtanga David Keil

Was machst du um Schüler davor zu bewahren?

Objektiv bleiben. Wenn du die Praxis aus der richtigen Perspektive heraus machst, merkst du, dass es falsch ist sich mit Leistung zu identifizieren.

Auf der anderen Seite ist ein gesundes Ego wichtig, um sich in der Welt zu entwickeln.

Ja klar. Jeder braucht ein Ego, eine Persönlichkeit. Aber es gibt einen Unterschied zwischen einem „großen Ego“ und einem „starken Ego“.

Das Große ist das aufgeblasene, das starke ist sicher in dem wer es ist.

Das große Ego muss gesehen werden und nutzt seine Kraft in einer dominanten und manipulativen Art.

Genau. Nach dem Motto: Ich habe das Wissen und die Kraft. Ich gebe etwas nicht weiter, weil ich es dann verliere. Das passiert sehr oft. Yogalehrer tappen oft in diese Falle. Auch wenn das wahre Selbst da gar nicht sein möchte, aber das kleine Selbst will es und dann starten diese ganzen Powerdynamiken mit Studenten: Kontolle, Dominanz und Verbote. Da ist es gut sich immer wieder mit seiner Intention zu verbinden.

Du hattest einen sehr erfahren Lehrer Sri K. Pattabhi Jois.

Das war schon gegen Ende seiner Lehrzeit. Ich bin dankbar für die Zeit aber es ist auch nichts besonderes. Er hat mich wahrgenommen, wusste wer ich bin.

Was oft passiert ist, dass wir etwas in den Lehrer hineininterpretieren. Damit gibst du ihm eine besondere Kraft und die nutzt er hoffentlich im positiven, auf eine objektive Art und nicht mit einem aufgeblasenen Ego.

Im Optimalfall erkennt dein Lehrer, was du in ihn hineinprojezierst und nutzt das um dich zu unterstützen nicht zum eigenen Vorteil.

Was hast du von ihm gelernt?

Ich habe Respekt und Hingabe gelernt in einer Weise, die wir im Westen kaum kennen. Dabei forderte er es nicht ein, sondern er hat es in mir gefördert. Das war für mich eine große Lehre. Im Bezug auf die Praxis hat er bei mir keine magischen Knöpfe gedrückt. Es ging um Respekt und Hingabe solche Dinge habe ich von Guruji gelernt. Er hat das vorgelebt aber nicht eingefordert.

Hast du ihn als authentischen Lehrer erlebt?

Ich habe in ihm jemanden getroffen, der den Prozess selbst durchlebt hat und dies weitergegeben hat. Jahrelang gab er es einfach so weiter ohne etwas dafür zu verlangen. Am Anfang nichtmal Geld. Seine Schüler haben ihm Dinge gekauft und die Originalshala gebaut auf der Rückseite seines Wohnhauses. Die Schüler haben sie bezahlt, obwohl er nicht danach gefragt hat. Er war jemand, der sein Leben diesen Praktiken gewidmet hat, das ist heutzutage schwer zu finden, jemand, der sein Leben einer einzigen Sache widmet.

Es fordert sehr viel von einem.

Durchhaltevermögen, Geduld, und wir reden hier davon jeden Tag die gleiche Praxis zu üben. Wir regen uns schon auf jeden Tag Marichiasana A oder C oder was auch immer zu üben aber stelle dir das mal über Jahrzehnte vor!

Hast du zum Schluss noch eine Anektdote von Sri K. Pattabhi Jois? Ich liebe die Geschichten über ihn.

Ja, es sind allerdings mehr Dinge, die er gemacht hat, die ich wirklich spannend fand. Die Art und Weise wie er mit Menschen umgegangen ist. Oder wie er reagiert hat, wenn er herausgefordert wurde. In östlichen Lehren forderst du deinen Lehrer nicht heraus. Es geht da um eine respektvolle Herangehensweise.

Respektvoll zu bleiben auch wenn man sich dafür zurücknehmen muss?

Ja. Ich erinnere mich, wie ihn jemand auf einer Konferenz in Mysore nach Mula Bhanda gefragt hat. Weil natürlich mal wieder eine Mula Bandha  Frage aufkam und damit überwiegend verrückte Fragen.

Also jemand fragte ihn wann und wie Mula Bandha zu üben ist und Guruji antwortete: „Mula Bandha all the time“, das ist die klassische Antwort. Und dann fragte diese Frau: „Oh, aber Guruji, in deinem Buch hast du geschrieben bei einigen Posen wird kein Mula Bandha geübt.“ Was auch stimmt, denn in „Yoga Mala“ gibt es einige Posen, wo Mula Bandha gelöst werden sollte.

Guruji sagte: „No. Mula Bandha all the time.“ Die Frau beharrte: „Aber Guruji, in deinem Buch steht, dass … ich erinnere nicht mehr in welcher Pose“. Er sagte nur, hole das Buch und dann sehen wir weiter. Also ging die Frau, um das Buch zu holen. Guruji schaute aus dem Fenster, er sah – das vermute ich jetzt – wie die Frau an der Shala vorbeiging und dann guckte er in die Menge und sagte: „Thank you!“. Und damit war die Konferenz beendet.

Im westlichen logischen Denken wollen wir immer alles ganz genau wissen und wenn dann etwas fehlt oder unlogisch ist, fangen wir an zu diskutieren.

Genau. Stell dir ihr Gesicht vor, als sie zurück in die Shala gekommen ist. So machte er es. Er spielte gern mit den Leuten, hatte einen guten Sinn für Humor. Nach dem Motto: Wenn mich jemand herausfordern will über eine Sache, die ich vielleicht mal vor 20 Jahren in einem Buch geschrieben habe, dann gut, aber das Buch ist vor Jahren geschrieben worden, also vorbei. Er hielt dir deine Schwächen direkt vors Gesicht.

Auch Sharat macht das, zum Beispiel wenn Schüler Handstände in den Sonnengrüßen üben. Jeder weiß, dass das nicht mehr üblich ist. Warum machen es die Leute dann, um zu zeigen wie toll sie sind? Wenn sie nicht aufhören, schubst Sharat sie aus dem Handstand.

Ja, das ist irgendwie verrückt, es kann schnell passieren sich mit Posen zu identifizieren. Gerade beim Ashtanga, viele sagen es sei nur auf das Körperliche fixiert.

Ja, es ist eines der größten Missverständnisse gegenüber dieser Praxis. Es geht nicht darum etwas zu erreichen. Es geht darum durch die Praxis zu gehen damit du diese Erfahrungen auf alles andere im Leben anwenden kannst.

David Keil unterrichtet weltweit Workshops und Retreats. Auf seiner Internetseite findest du Termine & viele hilfreiche Infos zum Thema Yoga Anatomie: https://www.yoganatomy.com

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